Offener Brief an Karlsruher MdBs: Lieferkettengesetz statt moral distancing – Antwort von Michael Theurer (FDP) vom 20. Januar 2021

Sehr geehrter Herr XXX,

vielen Dank für Ihren Offenen Brief, in dem Sie nach der Position der Freien Demokraten zum Lieferkettengesetz fragen.

Die Achtung von Menschenrechten sowie die Einhaltung von internationalen Vereinbarungen in Bezug auf ökologische und soziale Standards bei der Produktion von Gütern müssen in unserer globalisierten Welt einen hohen Stellenwert haben. Für den Verbraucher ist kaum noch nachvollziehbar, ob es entlang der Lieferkette eines Produkts zu Verstößen gegen die Menschenrechte gekommen ist, aber das Bewusstsein in der Gesellschaft, in der Politik und bei den Unternehmen dafür ist geschärft. Deutsche Unternehmen spielen dabei eine wichtige Rolle, denn gerade sie bringen wirtschaftliche Entwicklung, höhere Löhne und höhere menschenrechtliche Standards in Schwellen- und Entwicklungsländern voran.

Aus Sicht der Freien Demokraten wird das von der Bundesregierung geplante Lieferkettengesetz nicht zur Verbesserung der Bedingungen in den Produktionsländern beitragen und möglicherweise zu einem Rückzug von mittelständischen Firmen aus Entwicklungs- und Schwellenländern führen. Es drohen damit Nebenwirkungen, die dem ursprünglichen Ziel der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in Entwicklungsländern entgegen laufen. Wir brauchen stattdessen mehr deutsche Unternehmen in Afrika, Lateinamerika und Asien als bisher, und das schaffen wir nur durch offene Märkte, Wirtschaftswachstum und Rechtsstaatlichkeit vor Ort.

Wir Freie Demokraten schätzen das Verantwortungsbewusstsein der deutschen Unternehmen mit der großen Mehrzahl kleiner und mittelständischer Familienbetriebe. Wir sind überzeugt, dass für Konsumenten wie für Unternehmen die Entscheidung über den Erwerb von Produkten maßgeblich von der Achtung von Menschenrechten sowie von sozialen und ökologischen Standards bei der Herstellung abhängt. Ein staatlicher Zwang zum Nachweis von Produktionsbedingungen entlang gesamter Wertschöpfungsketten ist kaum möglich und führt eher zu erheblichen Verdrängungseffekten anstatt zu einer grundlegenden Wahrung der Menschenrechte oder einer strikteren Einhaltung sozialer und ökologischer Standards. Deshalb lehnen wir staatlich verordnete Lieferkettendokumentationen für Betriebe ab. Wir gehen davon aus, dass die Einhaltung von Produktionsstandards entlang von komplexen Lieferketten weltweit nicht effektiv von Seiten des deutschen Staates gewährleistet werden kann.

Die Bundesregierung geht mit ihren Vorschlägen über die Vorgaben der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen hinaus und verlässt damit den international ausgehandelten Konsens. Heimische Unternehmen für Verfehlungen von Zulieferern im In- und Ausland haftbar zu machen, wird zu einem Rückzug dieser Firmen aus Entwicklungsländern führen. Zielführender wäre es, Unternehmen zu Investitionen in Entwicklungsländern zu ermutigen.

Wenn Menschenrechte weltweit besser geachtet werden und Arbeitsbedingungen sowie die Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards verbessert werden sollen, geht dies nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern. Ein nationaler, deutscher Ansatz kann ein erster Schritt sein, wenn er keine Insellösung bleibt und auf einen gemeinsamen europäischen Ansatz abzielt. Durch eine gemeinsame europäische Lösung setzen wir zudem ein Beispiel für andere Staaten. Die Größe des europäischen Binnenmarkts, der sich auf gemeinsame Zertifizierungsregeln geeinigt hat, ist geeignet, um mittelfristig weltweit faire und sichere Lieferketten sicherzustellen. Wir setzen uns für einen eigenverantwortlichen Zertifizierungsmechanismus auf europäischer Ebene ein, der es Zulieferern auch in Drittländern ermöglicht, ihre Produktion zertifizieren zu lassen, um Verbrauchern und Unternehmen eine aufgeklärte Entscheidung zu ermöglichen. Die Kriterien für eine solche Zertifizierung von Zulieferern müssen letztlich auf europäischer Ebene erarbeitet und festgelegt werden.

Den Beschluss der FDP-Bundestagsfraktion „Für eine einheitliche europäische Lösung zum Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten“, auch nachzulesen unter https://www.fdpbt.de/sites/default/files/2020-10/Beschluss_Menschenrechte_Lieferketten.pdf, hänge ich Ihnen zur Kenntnis an.

Herzlichst
Ihr

Michael Theurer